Monatsarchiv: April 2020

Darum stressen Atemaussetzer den Körper dauerhaft Man schläft ausreichend lange und fühlt sich doch wie gerädert. Dahinter kann eine Schlafapnoe stecken. Atemaussetzer sind die Ursache. Wie man der Störung auf die Schliche kommt und warum man dagegen angehen sollte. Leipzig Thomas Heindl hat einen Traumjob. Der Leipziger Arzt schaut anderen Menschen bei der Nachtruhe zu. Nicht persönlich, sondern via Digitalrekorder. Der nächtliche Detektiv registriert unter anderem Schlafzeit, Puls, die Luftströme an der Nase, Körperlage, Atmungsbewegungen, Sauerstoffsättigung, Schnarchgeräusche, Wachphasen, Atemaussetzer. Das Ganze nennt sich Polygrafie und gilt als Vorstufe der Schlaflabor-Diagnostik (Polysomnografie). Pneumologen und einige HNO-Ärzte bieten diese ambulante Kassenleistung an. Was der Digitalrekorder ausspuckt, ist für Dr. Thomas Heindl eine Offenbarung: „Menschen, deren Atemwege während des Schlafs mehrfach blockieren, schnarchen meist sehr laut. Sie haben zyklisch eine flache Atmung (Hypopnoe) und/oder Atemaussetzer (Apnoen), die länger als zehn Sekunden dauern. Ob ein Schnarchen harmlos, was häufiger vorkommt, oder krankhaft ist – das lässt sich mit der Polygraphie-Untersuchung differenzieren. Schlafapnoe: Unterkiefer und Zunge blockieren Luftstrom Von einer obstruktiven Schlafapnoe spricht man dann, wenn während des Schlafes die Muskulatur in den oberen Atemwegen des mittleren oder unteren Rachenbereichs erschlafft und/oder bei geöffneten Mund Unterkiefer und Zunge nach hinten fallen und den Luftstrom blockieren, wodurch beim Ein- und Ausatmen laute Schnarchgeräusche entstehen können. Durch diese Atmungsstörung wird der Körper nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Damit es während eines nächtlichem Sauerstoffmangels nicht zum Erstickungstod kommt, schlägt das Atemzentrum im Gehirn Alarm und löst einen Weckreiz aus: Man wacht kurz auf, meist ohne es zu merken. Dadurch wird der Schlafrhythmus unterbrochen. Das Fatale: Die Nebennieren schütten Adrenalin aus, das Herz schlägt schneller, der Blutdruck und der Pegel des Stresshormons Cortisol steigen. Der Körper befindet sich in einer Art Alarmzustand. Er wittert Gefahr und reagiert entsprechend mit An- statt Entspannung. Diese kurzen Aufweckreaktionen werden auch „Arousals“ genannt. „Wenn diese in einer Nacht wiederholt auftreten, verhindern sie, in den Tiefschlaf zu fallen, der die Nachtruhe erst erholsam macht. Denn nicht die Länge des Schlafes ist wichtig, sondern die Tiefe. Wir profitieren nur vom Tief- und Traumschlaf – auch REM-Schlaf genannt – , der unseren Körper regeneriert und unsere mentale Festplatte, unser Gehirn, defragmentiert“, sagt der Schlafexperte. Da Betroffene von Schlafapnoe kaum in diese Erholungsphase kommen, leiden sie nicht selten unter Tagesschläfrigkeit, Konzentrationsstörungen, Erschöpfungszuständen bis hin zu Depressionen oder sogar Impotenz. Der längste Atemaussetzer: eine Minute, 15 Sekunden Henning Schulz* kennt diesen Teufelskreis. 55 Atemstillstände pro Stunde, im Schnitt jeweils für 25 Sekunden – ein Untersuchungsergebnis, das den Leipziger alarmiert hat. „Der längste Aussetzer: eine Minute, 15 Sekunden. Eigentlich sollte die Sauerstoff-Sättigung über 90 Prozent liegen – bei mir waren es 82 Prozent. Auch meine Schlafqualität war besorgniserregend. 20 Prozent Tiefschlaf gelten als erholsam. Der Wert lag bei mir bei knapp vier ¬Prozent. Mit entsprechendem Ergebnis. Ich war tagsüber müde und antriebslos“, erinnert sich der 47-Jährige, der seit acht Jahren in schlafmedizinischer Behandlung ist. Die Wahrscheinlichkeit, an einer obstruktiven Schlafapnoe zu erkranken, nimmt ab dem 40. Lebensjahr stetig zu. „Schätzungen zufolge haben ¬etwa fünf Prozent der Männer und drei Prozent der Frauen eine obstruktive Schlafapnoe“, sagt Thomas Heindl, der von Haus aus Facharzt für Innere Medizin und Pneumologie ist. Neben starkem Übergewicht spielen mitunter auch anatomische Besonderheiten im Mund- und Rachenraum eine Rolle. Dazu gehören vergrößerte Zunge oder Mandeln, ein tief liegender Gaumen, ein vergrößertes Zäpfchen, ein zurückliegendes Kinn oder eine angeborene Fehlbildung des Rachenraums. „Reine Nasenatmungsbehinderungen sind in den meisten Fällen nicht alleinige Ursache für die Diagnose. Auch die Rückenlage im Schlaf kann Schnarchen und Atmungsstörungen begünstigen. Vor allem in Verbindung mit Übergewicht, bei einem Body-Maß-Index größer als 25. Auch Alkoholkonsum, Völlerei oder warme Mahlzeiten am Abend sowie einige Medikamente können die Atemmuskulatur erschlaffen lassen und dadurch eine Schlafapnoe verstärken“, sagt Dr. Thomas Heindl. Für Schnarcher in Rückenlage hat er ein probates Mittel: „Ich empfehle meinen Patienten für drei Monate das Tragen einer Rückenlagevermeidungsweste. Sie verhindert durch einen eingenähten Keil im Rückenteil wirkungsvoll die Rückenlage und beugt so Luftnot vor. Eine preisgünstige Alternative ist, sich eine Alu-Brotbüchse, einen Tennisball oder Blumensteckmasse ins T-Shirt einnähen zu lassen. Das ist leicht anzufertigen und bietet ebenfalls eine gute Trainingswirkung.“ Wichtiger sei aber: runter mit dem Gewicht. Mögliche Folge: Unfreiwilliger Sekundenschlaf Der Handlungsdruck ist groß, wenn der Leidensdruck zunimmt. Denn wer schlecht schläft, fühlt sich tagsüber oft müde und „wie gerädert“. Viele Menschen fallen dann auch unfreiwillig in einen sogenannten Sekundenschlaf. Das passiert vor allem bei sitzenden Tätigkeiten und in ruhigen, eher passiven Situationen, zum Beispiel bei Meetings, während eines Konzertbesuchs, beim Lesen oder vor dem Fernseher. Gefährlich wird es, wenn man am Steuer eines Autos einnickt. Zu wenig Schlaf kann zudem zu Konzentrations- und Gedächtnisstörungen und zur Schwächung der Abwehrkräfte führen. „Die meisten meiner Patienten werden von ihren Partnern oder ehemaligen Bettnachbarn, denen sie im Krankenhaus oder bei der Kur begegnet sind, zu mir geschickt. Eine Schlafapnoe belastet alle Beteiligten, wenn das laute Schnarchen den Schlaf stört und auch sie tagsüber müde und gereizt sind. Zudem können die Atemaussetzer beängstigend wirken“, sagt der Spezialist. Die vermehrte Tagesschläfrigkeit ist auch mit einer deutlich erhöhten Unfallgefahr verbunden. Bei Patienten mit einer obstruktiven Schlafapnoe finden sich etwa siebenmal häufiger Autounfälle als in der Normalbevölkerung. Unfälle durch Einschlafen am Steuer treten häufig in den frühen Morgen- oder Nachmittagsstunden auf. Autobahnunfälle, Unfälle mit schweren Körperverletzungen oder Todesfolge sind typisch für Einschlafepisoden am Steuer. Auch die Unfallgefahr am Arbeitsplatz ist auf das Doppelte erhöht. Berufskraftfahrer sind deshalb von Gesetzes wegen verpflichtet, sich behandeln und regelmäßig kontrollieren zu lassen. Die wirksamste Behandlung einer schweren Schlafapnoe ist die sogenannte CPAP-Therapie. CPAP steht für „continuous positive airway pressure“ (kontinuierlicher Atemwegsüberdruck). Bei dieser Behandlung wird nachts mit einem leichten Überdruck Raumluft in die Luftwege gepumpt. „Die Betroffenen tragen während des Schlafs eine Maske, die an ein Atemgerät angeschlossen ist. Der leichte Überdruck hält die oberen Luftwege offen. Unter der täglichen Anwendung des Gerätes verschwinden Atempausen und Schnarchgeräusche, und die Tagesmüdigkeit verbessert sich oft dramatisch. Dadurch steigt die Lebensqualität“, sagt Dr. Thomas Heindl. Die nächtliche Maskenbeatmung ist auch erfolgreich bei dem vergleichsweise selteneren Zentralen Schlafapnoe¬Syndrom, das durch eine Hirnschädigung – beispielsweise nach einem Schlaganfall – verursacht wird. Auch eine Unterkiefer-Protrusionsschiene kann manchen Menschen helfen. Sie verhindert in der Nacht, dass der Unterkiefer zurückrutscht und die Atemwege versperrt. Die im Volksmund genannte Schnarch-Schiene ist geeignet für Menschen, die unter Zungengrundschnarchen leiden. Die Schiene sorgt dafür, dass der Unterkiefer wenige Millimeter nach vorn gezogen wird, wodurch der sogenannte hintere Luftraum im unteren Rachen erweitert wird. Schnarchgeräusche: Partner ergreift regelmäßig die Flucht Die Folge: Die Atemluft strömt ohne Widerstand ein und aus, der Körper wird mit Sauerstoff versorgt. Für Christine Meier*, die unter einer seltenen Überbiss-Kieferanomalie leidet, könnte diese Schiene eine Lösung sein. Die 66-Jährige schnarcht derart, dass ihr Partner regelmäßig die Flucht ergreift. „Das ist purer Beziehungsstress. Die Skala der Schnarchgeräusche reicht vom erträglichen Röcheln bis zu einer Lautstärke von 90 Dezibel. Das entspricht etwa dem Krach eines Presslufthammers. Für den genervten Partner bleibt da häufig nur die Flucht ins Nebenzimmer.“ Natürlich könnten auch die Biorhythmen der Arbeits- und Erholungszeiten von Mensch zu Mensch sehr verschieden sein und den Schlaf des Partners stören, sagt Dr. Heindl. Wenn ein Partner ein kreativer Nachtarbeiter („Lerche“) und der andere ein passionierter Tagesmensch („Morgensinger“) sei, dann müsse man in einer guten Lebensgemeinschaft nach konstruktiven Kompromissen suchen. Auf die Frage, was eine Ehe Jahrzehnte harmonisch und stabil halte, antwortete einst Loki Schmidt, die Frau des Ex-Bundeskanzlers Helmut Schmidt, einmal altersweise: „getrennte Schlafzimmer, aber nicht zu weit voneinander entfernt“. Die Folgen des Schlafmangels Schlafmangel erhöht das Risiko für Fettleibigkeit, Diabetes, Krebs und Herz-Kreislauferkrankungen. Wie es dazu kommt, ist noch weitgehend unbekannt. Jetzt haben amerikanische Forscher herausgefunden, dass sich bei chronischen Schlafstörungen die Entwicklung einer Arteriosklerose bei Mäusen beschleunigt. Durch die verringerte Schlafdauer sank die Produktion des Hormons Hypocretin im Gehirn. Das verstärkte die Freisetzung eines Botenstoffs im Knochenmark, wodurch dort vermehrt weiße Blutkörperchen gebildet wurden. Diese hefteten sich dann an den Wänden der Blutgefäße an und bewirkten weitere Ablagerungen, berichten die Wissenschaftler im Fachjournal „Nature“. Schlafmangel macht uns empfindlicher für Schmerzen. Das haben US-Forscher der University of California in Berkeley in einer Studie gezeigt. Die Haut reagiert nach einer schlaflosen Nacht sensibler auf Temperaturen. Was gestern noch erträglich war, tut auf einmal weh. Durch den Schlafmangel kommt im Gehirn die Verarbeitung von Schmerzsignalen durcheinander. Bei Menschen, die schlecht schlafen, bleibt der Blutdruck nachts zu hoch und senkt sich nicht ab. Bei Schlafmangel bleibt außerdem die Herzfrequenz bei rund 80 Schlägen pro Minute, statt auf 60 bis 50 zu sinken. Beides wirkt sich negativ auf die Gefäße aus. Das Schlaganfall-Risiko ist bei Menschen mit häufigen nächtlichen Atemaussetzern um das Dreifache erhöht. Tipps für einen gesunden Schlaf –regelmäßige Einschlaf- und Weckzeiten einhalten –für ein gutes Schlafklima sorgen: frische Luft, nicht wärmer als 18 Grad Celsius –Matratze und Kopfkissen sorgsam auswählen –keine üppigen Mahlzeiten zu später Stunde einnehmen –nicht zu viel Alkohol trinken, idealerweise Abstinenz in den letzten vier Stunden vor der Nachtruhe –keine extremen körperlichen Aktivitäten vor dem Zubettgehen ausüben, stattdessen einen Spaziergang machen und entspannende Einschlafrituale pflegen –Aufregungen (Streitereien, Horrorfilme) direkt vorm Schlafengehen vermeiden –tagsüber möglichst nicht schlafen (gilt vor allem für ältere Menschen) –Kaffee, Cola und Ähnliches ab dem späten Nachmittag einschränken –Das Bett nur zum Schlafen aufsuchen, Fernseher und Schreibtisch voller Arbeit aus dem Schlafzimmer verbannen! –Schlaf- und Beruhigungsmittel nur in Absprache mit dem Arzt einnehmen *Namen geändert

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